Eine der größten Herausforderung für kids smile e. V. für die Realisation seines Leuchtturmprojektes ist es, eine tragfähige Partnerschaft mit einem örtlichen Träger in der Ukraine aufzubauen.
Es hat bereits verschiedene Anläufe und Kontakte gegeben, die diesem Ziel Nahe schienen. Und doch gestalteten sich alles noch sehr schwierig. Dies ist einerseits sicher der unterschiedlichen Kultur, aber andereseits auch der sehr kriegsgeprägten Situation in der Ukraine geschuldet. Die Realitäten dort sind andere als bei uns in Deutschland. So haben wir schon bei unserem Circusprojekt in Würselen erfahren müssen, dass langfristige Planungen eher schwierig zu machen sind. Auch weil die Hoffnung all jener die Gast bei uns sind und nach Deutschland flüchten mussten, liebend gerne heute als morgen zurück in ihr Heimatland reisen wollen. Und sei es für einen Kurzbesuch bei ihren Familien.Was da in ein paar Monaten vielleicht als Freizeitangebot für Kinder möglich wäre, ist gefühlt noch sehr weit weg.
Neben verschiedenen Telefonanten, Emails und Videokonferenzen mit einer ganzen Reihe von Menschen und Institutionen in der Ukraine ist es nun Birger Koch von Circus Soluna gewesen, der im Januar nach Uschgorod in die Ukraine reiste, um vor Ort mit einem potentiellen Partner in direkten Kontakt zu treten.
Dieser Kontakt kam über Umwege zustande. Circus Soluna kooperiert seit vielen Jahren mit dem Jugendzentrum “Inside” in Eynatten (Belgien) und veranstaltet dort Circus Projekte. Der langjährige Leiter der Einrichtung (und mittlerweile im Unruhestand) ist Werner Kalf. Es gibt sehr viele Parallelen mit unserem Vorsitzenden Ralf Pauli, der seinerseits seit nunmehr fast 17 Jahren ebenfalls Projekte mit Circus Soluna in Monschau Konzen organisiert. Aus der langjährigen Zusammenarbeit hat sich zwischen Kalf, Koch und Pauli eine besondere Freundschaft entwickelt.
Werner Kalf hat in Belgien Spenden akquiriert und über einen Kooperationspartner in Košice (Slowakei) Hilfsgüter bis nach Uschgorod (Ukraine) transportiert. Eduard Buraz mit seinem Verein FEMAN verfolgt dort zahlreiche Projekte zur Unterstützung der Ukraine und unterhält gute Kontakte in die Stadt Uschgorod. Der Besuch von Birger Koch und Werner Kalf sollte nun klären, ob und in welchem Umfang eine sinnvolle Unterstützung für Kinder und Jugendliche durch kids smile e. V. geleistet werden kann.
Birger Koch hat seine Eindrücke verfasst, die einen Einblick in die Situation und Erlebnisse wiedergeben.
Montag:
Auf dem Weg von Košice nach Uschgorod, etwa 140 Kilometer. Im Auto sitzen Eduard Buraz, Natalia Alexandrova, Werner Kalff und ich. Unterschiedliche Vertreter aus vier Nationen, gemeinsam die Idee, Menschen aus Europa zur Verwirklichung von Ideen zu motivieren. Zum Teil kennen wir uns nicht. Uns eint aber die Idee, zwei Menschen mit unterschiedlichen Ideen können mehr als einer mit Tunnelblick.Erste Station: „Uschgorod Special School“ für Kinder mit Gehörproblemen. Wir treffen uns mit der Direktorin Natalia Ivanivna und dem stellvertretenden Direktor Ivan Cheipesh im Eingangsbereich der Schule. Dort begrüßen uns sehr höflich und gut gelaunt auch ein paar ältere Schüler. Sie nehmen von Werner und Eduard mit großem Hallo einen Satz gespendeter Bälle für den Sportunterricht entgegen.
Wir wechseln ins Rektorat und trinken Kaffee. Frau Ivanivna stellt uns die Schule vor: 92 Kinder ab 3 Jahre besuchen diese Schule davon 27 im Internat. Wie die Schulleiterin stolz berichtet, wird nach dem neusten „Statut der Bildung in der Ukraine“ unterrichtet. Kinder mit einem Handicap sollen demnach nicht ausgegrenzt werden, sondern Gelegenheit haben, mit Unterstützung den Weg in ein „normales“ Leben zu finden. Deshalb werden an der Schule normale Bildungsabschlüsse angeboten, den Kindern wird aber ein Jahr länger Zeit gegeben, das zu erreichen. Statt 9 Schuljahren gibt es 10. Schulpflicht herrscht bis zum 18. Lebensjahr.
Der Unterricht beginnt um 8.30. Viele Kinder bleiben bis 17.00 oder sogar 19.00 Uhr. Täglich gibt es 8 Stunden von 8.00 — 13.00 Uhr verpflichtenden Unterricht. Anschließend ab 13.00 Uhr stehen unterschiedliche Freizeitmassnahmen mit den Schwerpunkten Sport, Malerei und Keramik zur Wahl. Zwischen 14.00 und 14.30 ist Mittagessen. Die Kinder erhalten 5 kostenlose Malzeiten am Tag. Die Schule hat 42 Lehrer, davon 22 Sonderpädagogen, so wie zusätzliche Erzieher, die die Lehrer am Nachmittag unterstützen. Am 5.12.2024 feiert die Schule ihr 120 jähriges Bestehen.
Unser Expose kommt auf den ersten Blick gut an, besonders, dass es auch eine ukrainische Übersetzung gibt freut die beiden. Danke an Julia von „Ukrainer in Aachen“!
Das ist aber zu viel Information für den ersten Augenblick. Also stelle ich unser Zirkusprojekt in Worten vor, merke aber, die Skepsis ist groß. Obwohl Eduard sich alle erdenkliche Mühe gibt, ist der Umweg über unterschiedliche Sprachen erst einmal eher suboptimal. Mein Eindruck ist, wir reden noch nicht über das Gleiche. Ich habe das Gefühl, den beiden hat das Ganze zu wenig Struktur.Eduard meint, wir sollten uns zunächst die Räumlichkeiten ansehen und überlegen, was dort für Workshops und Aktionen möglich sind. Eduards Verein FEMAN verfolgt zahlreiche Projekte zur Unterstützung der Ukraine. Wir kennen uns noch nicht persönlich und sind so nur eine von vielen Optionen. Uns hilft, dass Eduard und Werner bereits seit 30 Jahren vertrauensvoll zusammenarbeiten. Eigentlich hat er also zu diesem Zeitpunkt auch keine Idee, was unser Zirkus eigentlich macht. Das wird sich bald ändern.
Auf dem Weg zur Besichtigung gibt es Luftalarm, die Kinder und Lehrer sollen sich in den Keller begeben. Mich beschleicht ein trauriges Gefühl, bei dem Gedanken, dass das für diese fröhlichen Kinder zum Alltag gehört. Frau Ivanivna hat da eine andere Idee, da sich sowieso alle versammeln müssen: warum dann nicht den Kindern das Projekt direkt in der Aula vorstellen? Ok, die ist eine Treppe höher unterm Dach — aber na gut, schließlich lebt man hier seit vielen Monaten damit.
Also kehren alle um und steigen die Treppen zur Aula hinauf. Ruckzuck ist ein Laptop organisiert und der Bildschirm via Beamer auf eine Leinwand geworfen. Wir stellen mit Hilfe der Lehrer in Deutsch, Ukrainisch und Gebärdensprache den Kindern unseren Plan vor. Dann schauen wir einen Clip aus dem Zirkusprojekt in Eynatten, den Werner mitgebracht hat.
Frau Ivanivna legt direkt los: wer möchte denn bei diesem und jenem Workshop mitmachen ist die Frage. Zahlreiche Finger gehen in die Höhe. Die Grösseren schauen noch etwas skeptisch, aber die jüngeren und die Lehrer freuen sich und fragen, wann es denn endlich los geht. Sie meinen damit, in wie viel Minuten…
Dann ist der Alarm vorbei und alle gehen in Ihre Klassen zurück.Wir treffen uns anschließend in einem anderen Raum zum Mittagessen und fragen uns angesichts des fulminant gedeckten Tisches, wo die anderen 20 Gäste bleiben. Ich lerne, in der Ukraine wird zum Essen getrunken, angestossen und drei Mal ein Toasts ausgesprochen. Bei Kraut- und Möhrensalat, Suppe, Käsebällchen, Frikadellen, Kartoffelbrei und zahlreichen anderen Leckereien, nimmt dann der Plan für ein Zirkusprojekt in der Schule Gestalt an.
Es gab für mich heute viel zu lernen.
1. Wie umwerfend die Ukrainische Gastfreundlichkeit ist.
2. Wie viele Menschen sich alle erdenkliche Mühe geben, Kindern in diesen Zeiten einen Weg in die Zukunft zu ermöglichen.
3. Wie stolz die Ukrainer auf sich und Ihren Weg nach Europa sind.
4. Wie wichtig eine gute Idee auch ist, umso wichtiger ist es, erst zuzuhören, bevor man plant.Der stellvertretende Direktor Ivan Cheipesh und seine Frau (von Beruf Dolmetscherin Ukrainisch/Englisch) würden mit zwei Schülern gerne in Konzen teilnehmen. Der Termin ist ihnen bekannt wir haben diese Idee mitgebracht, um eine Vorbereitung auf den realen Irrsinn eines Zirkusprojektes möglichst früh anzugehen.
Die Schule würde das befürworten und das Einverständnis der Eltern einholen. Wir müssten für die Reisekosten (in einem PKW) und die Unterbringung aufkommen. (…).(Fotos: Birger Koch)
Fortsetzung folgt.